Seit über 15 Jahren spiele ich nun schon Ego-Shooter und habe dabei
die gesamte Entwicklung des Genres mitgemacht. Die Pseudo-3D-Anfänge,
die ersten Online-Schlachten, das eSport-Phänomen, den
Modern-Warfare-Wahnsinn und einen Grafik-Durchbruch nach dem anderen. Im
Grunde blieb aber der eigentliche Spielablauf immer der Gleiche:
Zielen, ballern, sich wie auf Schienen durch die Level bewegen und
Deckung suchen.Gerade was die Beweglichkeit angeht, waren bisher
viele Titel stark eingeschränkt. Hier eine kurze Ausweichbewegung, dort
ein Doppelsprung, trotzdem blieb man auch in der realistischsten
Umgebung immer wieder an niedrigen Mauern und kleinsten Hindernissen
hängen. Speziell in Multiplayer-Schlachten unsäglich.Brink macht
mit diesem Paradoxon ein für alle Mal Schluss. Es liefert frische
Konzepte für mehr Freiheit. Klar, wird hier beim Ballern und dem
Erfüllen von Missionen nicht das Rad neu erfunden, aber dafür die Art
und Weise, wie ihr euch durch den Level bewegt. Mit gedrücktem
SMART-Knopf rutscht eure Figur geschickt über Tische, springt über
niedrige Mauern und erreicht so entlegenste Winkel.
Es funktioniert: Rutschen, zielen, ballern Endlich
könnt ihr nahezu das gesamte Areal nutzen, euren Kopf hinter einer
Deckung einziehen und euch mit einem agilen Charakter bis ganz nach oben
befördern. Bisher gab es das alles nur in der Theorie, auf der gamescom
wurde es wunderbare Realität und es funktioniert.Okay, uns wurde
schon wieder der Container-Level serviert, den es schon bei der
Vorstellung zu sehen gab. Das die Möglichkeit selbst zum Joypad zu
greifen und das Spielgefühl zu erleben, machte dieses Manko locker
wieder wett. Irgendwie fühlt man sich befreit von einer Last, beweglich
genug, um den Level als Parkour zu nutzen, seine Eigenheiten und
Besonderheiten zu erleben. SMART (Smooth Movement Across Random Terrain)
funktioniert dabei denkbar einfach: Je nachdem, ob ihr mit dem
Fadenkreuz über oder unter ein Hindernis zielt, hüpft ihr entweder
darüber hinweg oder schlittert unten durch. Zielt ihr zum Beispiel auf
eine höher gelegene Plattform, greift euer Charakter die Kante und zieht
sich nach oben.
Splash Damage öffnet seine Waffenkammer.
Nutzt ihr SMART, während ihr sprintet, rutscht ihr am Boden entlang
und könnt dabei feuern. Ihr könnt unterschiedliche Bewegungen
miteinander verknüpfen und erhaltet so die komplette Kontrolle über eure
Spielfigur. Kurz: Eurer Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt und ihr
gleitet wunderbar flüssig durch die komplexe Levelstruktur. Aber trotz
dieser recht intuitiven Funktion ist nahezu das komplette Pad belegt.
Denn neben dem eigentlichen Bewegen und Ballern gilt es, Ziele zu
erfüllen, die Ausrüstung zu handhaben und das komplexe Missionssystem zu
steuern.In jeder beliebigen Situation könnt ihr ein Kreismenü
aufrufen und die dort angezeigten Aufgaben übernehmen. Diese werden
kontinuierlich an die aktuelle Situation angepasst. Müsst ihr zum
Beispiel gerade mit eurer Truppe einen Wartungsroboter zu einer Tür
begleiten, bekommen Ingenieure die Aufgabe, ihn ständig fit zu halten,
Sanitäter müssen die Ingenieure beschützen, Scharfschützen Gegner
ausschalten und so weiter und so fort. Die Gegenseite bekommt
dementsprechend den Auftrag, den Roboter aufzuhalten und bei einer
Beschädigung euer Team vom Reparieren abzuhalten.Keine Sorge, das
Ganze klingt komplizierter als es ist. Ihr seid auch nicht
verpflichtet, diese Missionen anzunehmen, euch entgehen dabei aber jede
Menge Bonus-Erfahrungspunkte, die neben diversen Perks vor allem
Waffen-Upgrades und Kleidung freischalten. Um das Teamplay weiter zur
unterstützen, serviert euch das Spiel wirklich für jede Klassen-Aktion
Extrapunkte. Als Ingenieur könnt ihr zum Beispiel die Waffen eurer
Partner buffen oder als Sanitäter deren Health mit einer Ampulle
Adrenalin. Außerdem verbessern sich in der Nähe eurer Kameraden eure
Stats. Ihr macht mehr Schaden, haltet mehr aus und werdet so dazu
gebracht, gemeinsam vorzugehen.
Richtig interessant wird das Gameplay aber erst durch die Perks und
Ausrüstungsgegenstände. Mein Liebling während der viel zu kurzen
Anspielzeit: Die Selbst-Wiederbeleben-Spritze. Das nützliche Utensil
kann alle zwei Minuten eingesetzt werden. So könnt ihr euch als
Sanitäter direkt an der Front von den Toten zurückholen und gleich
hinterher euer gesamtes Team. Insbesondere wenn die Gegner schon
weitergezogen sind, eine äußerst hinterhältige Taktik.Das in der
letzten Version noch monierte Treffer-Feedback wurde inzwischen übrigens
komplett eingebaut. Es wird aktuell zwar noch nicht ganz
Modern-Warfare-Niveau erreicht, aber kleine Animationen teilen euch
stets mit, ob ihr trefft oder nicht. Auch klingen die Waffen deutlich
satter, bellen richtig, wenn man auf Dauerfeuer stellt. Endlich hat man
das Gefühl, eine dicke Wumme in der Hand zu halten und keine
Wasserspritzpistole. Ein tödliches Mordinstrument und keine
Gotcha-Knarre.Das eher unrealistische Design der Schießprügel ist
zwar nicht jedermanns Sache, doch die Erweiterungsmöglichkeiten sind
beeindruckend. Mit wenigen Handgriffen, einem erweiterten Magazin, einer
Mündungsbremse und einer Vollautomatik-Funktion verwandelt ihr eine
schnöde 08/15-Knarre in eine waschechte Maschinenpistole.Einen
noch besseren Eindruck hinterlässt dagegen die Grafik. Das Spiel läuft
zwar noch nicht hundertprozentig flüssig, dafür ist der Detailgrad
beeindruckend, die Animationen erstklassig und das Design immer noch
eine Pracht. Der überzogene, fast comicartige Look ist zwar bis zu einem
gewissen Punkt Geschmackssache, trotzdem wirkt das Spiel wie aus einem
Guss und bis zum letzten Menüpunkt nahezu perfekt ausgearbeitet.Nur
was die KI angeht, bleiben noch jede Menge Fragezeichen. Der Ablauf ist
wirklich extrem komplex und damit für den Computer entsprechend
anspruchsvoll. Macht Brink mit Bots also wirklich Spaß? Man darf nicht
vergessen, dass die komplette Einzelspieler-Erfahrung auf die KI-Kämpfer
setzt. Sowohl auf der eigenen als auch auf der gegnerischen Seite. Ihr
könnt zwar jederzeit menschliche Mitspieler dazuholen, doch dazu muss
man wohl oder übel online spielen.
Auch was die Qualität der Geschichte angeht, bin ich mir noch nicht
ganz sicher. Es gibt zwar vor und während den Partien kurze
Zwischensequenzen, doch im Multiplayer-Gewitter kann das zarte
Story-Pflänzchen auch schnell wieder verwelken. So sehr ich mich also
auf die Mehrspieler-Gefechte freue, so sehr bezweifle ich, dass Offline-
beziehungsweise Einzelspieler mit Brink viel Spaß haben werden.Rein
konzeptionell war ich ja schon recht früh von Brink angetan. Der
frische, gewagte Ansatz, die Einzel- und Mehrspielererfahrung
miteinander zu verknüpfen, der Grafikstil und das intelligente
Bewegungssystem machte zumindest auf dem Papier jede Menge Sinn. Doch
das war alles reine Spekulation. Ohne selbst Hand anzulegen konnte und
wollte ich keine finale Einschätzung abgeben. Nun, nach einer Stunde
wahnwitziger Multiplayer-Gefechte kann ich den Release nicht mehr
abwarten. Ich bin mir zwar noch immer nicht sicher, ob das Spiel auch
offline funktioniert, doch gemeinsam mit einem netten Team werde ich den
Spaß meines Lebens haben. Hoffen wir nur, dass Splash
Damage die letzten technischen Mängel in den Griff bekommt, genug
Content zum Launch liefert und die KI nicht versemmelt. Brink wird zwar
auch dann nicht die beste Shooter-Einzelspielererfahrung 2011, aber
vielleicht genau der richtige Anreiz für Offline-Spieler sich in den
Online-Dschungel zu wagen. Der ist zwar hart und ungerecht, macht aber
aller Wahrscheinlichkeit nach bei Brink jede Menge Spaß.
Brink erscheint Anfang 2011 für PC, Xbox 360 und PS3.
Quelle: Eurogamer.net