Half-Life war in vielen Punkten revolutionär, doch die größte
Errungenschaft war die vollkommen neue Erzählweise, die alles bisher
gekannte auf den Kopf stellte. Statt die Geschichte mit langweiligen
Text-Passagen und halbseidenen Zwischensequenzen voranzutreiben, spielte
sich auf einmal alles vor den Augen des Spielers ab.Heute sind
diese gescripteten Events und vor allem die anfänglichen Auto-, Zug-
oder Bus-Fahrten in modernen Shootern nicht mehr wegzudenken. Es ist
trotzdem erstaunlich, wie selten es Entwicklern gelingt, die
Dringlichkeit des Originals oder seines noch besseren Nachfolgers zu
erreichen. Den Kaos Studios ist dies mit Hilfe des Red Dawn Autors John
Milus und Co-Autor Danny Bilson bei Homefront zum Glück gelungen.
Ihr werdet gleich zu Beginn Zeuge, was die Invasion der Nordkoreaner mit
den ehemals stolzen USA angerichtet hat. Soldaten treiben euch
zusammen mit anderen Gefangenen in einen Bus. Vor den Fenstern des
heruntergekommenen Gefährts spielen sich zum Teil dramatische Szenen ab.
Vermeintliche Aufrührer werden vor euren Augen erschossen. Hilflose
Frauen niedergeknüppelt und Kinder mit zwei Gewehrsalven in Waisen
verwandelt.Die Kämpfer der nordkoreanischen Volksarmee gehen
dabei noch härter als andere Besatzer vor. Sie quälen, prügeln und
terrorisieren das Volk, um es unterwürfig zu machen. Kontrollpunkte mit
Iris-Scannern und Selbstschussanlagen sollen jedes Aufbegehren im Keim
ersticken. Kurz: Das ist alles atmosphärisch so erstklassig inszeniert,
dass es Magenschmerzen bereitet. Und auf erschreckende Art und Weise
verdeutlicht, wieso der Widerstand so verzweifelt gegen die Besatzung
kämpft.
Und es geht ähnlich imposant weiter. Die eigentliche Befreiung möchte
ich an dieser Stelle nicht spoilern, anschließend werdet ihr aber, wie
ein wildes Tier, durch das zerstörte amerikanische Hinterland gejagt.
Das Motto „Amerikas Hinterhöfe als Schlachtfeld" wurde dabei perfekt
realisiert. Ihr schlagt euch mit anderen Rebellen durch verlassene
Einkaufszentren, vorbei an abgestürzten Passagierjets und lauschigen
Einfamilienhäusern mit Holzzaun und Rosenbeet. Spielerisch tendiert die
Singleplayer-Kampagne ganz klar in Richtung Modern Warfare. Begleitet
durch zwei NPC-Charaktere liefert ihr euch knallharte Gefechte mit den
Invasoren. Immer wieder müsst ihr gefallenen Gegnern die Waffe abnehmen,
um dem massiven Druck Herr zu werden.
Was Animationen, Waffenfeeling und künstliche Dummheit angeht, bewegt
sich Homefront auf dem Niveau von Call of Duty. Über weite Strecken
kommt es vor allem auf schnelle Reaktionen und ein paar grundlegende
taktische Fähigkeiten an. Selten gibt es genug Platz, um euch oder die
Gegner vor größere Denkaufgaben zu stellen. Klar, der gemeine
nordkoreanische Soldat geht ab und an in Deckung und wirft ein paar
Granaten, viel mehr dürft ihr aber nicht erwarten. Wie bei der großen
Konkurrenz geht es hier um ein filmartiges Action-Erlebnis. Ein Ziel,
dass ohne Probleme erreicht wird.
So zum Beispiel im zweiten Teil des ersten Abschnittes: Gerade erst aus
den Fängen der nordkoreanischen Verfolger entkommen, landet die Gruppe
in einem lauschigen Vorort, der an Desperate Housewives und ihre
Wisteria Lane erinnert. Alles hübsch, gepflegt und gutbürgerlich. Doch
die dort lebenden Einwohner sind verstört. Die Besatzung hat ihnen
zugesetzt. Ängstlich fragen sie nach, was die Schüsse bedeuten. Doch
kaum habt ihr sie ein wenig beruhigt, brettern gepanzerte Transporter
durch die sauber geschnittenen Hecken. Die Nordkoreaner haben euch
wiedergefunden und sie haben Verstärkung mitgebracht.
Zum Glück seid ihr diesmal nicht wehrlos. Von einem gefallenen
Widerstandskämpfer besorgt ihr euch die Steuerung des Goliaths. Einer
schwer bewaffneten Boden-Drohne, der ihr per Laser-Targeter Ziele zu
weisen könnt. Während sich um euch herum die Zivilisten in Sicherheit
bringen, jagt ihr das gepanzerte Ungetüm auf die Angreifer. Raketen
zerfetzen die Schützenpanzer und Maschinengewehre die feindlichen
Soldaten. Eine Adrenalin-geladene, bombastische Sequenz, spielerisch für
meinen Geschmack, aber einen Tick zu nah am Activision Blockbuster
dran.
Umso erfreulicher ist es, dass die New Yorker Entwickler optisch eine
eigene Bildersprache entwickelt haben. Durch die Unreal Engine 3 dürft
ihr zwar nicht mehr als 30 Frames pro Sekunde erwarten, dafür ist jeder
Level durch geschickt gesetzte Akzente abwechslungsreich gestaltet.
Abgestürzte Flugzeuge, zerstörte Häuser und ein Hauch Apokalypse schwebt
über jeder Szene.Vor allem auf dem PC macht Homefront eine
hervorragende Figur. Die deutlich höhere Auflösung, die sauberen Kanten
und detaillierten Texturen sind ein klarer Vorteil. Die Fassung war zwar
nicht vollkommen optimiert und lieferte noch ein paar Bugs, trotzdem
sieht alles nach einer guten PC-Umsetzung aus, die durch dedizierte
Server und zusätzliche Multiplayer-Features unterstützt wird.
Doch eigentlich spielte die Einzelspieler-Kampagne bei dem New Yorker
Event nur die zweite Geige. Die meiste Zeit verbrachten wir mit dem
Multiplayer, der, wie von Kaos versprochen, nicht nur optisch seit dem
letzten Mal einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hat. Das
Battlepoints-System, mit dem ihr Spezialattacken und Fahrzeuge für
erspielte Punkte ersteht, spielt natürlich noch immer eine große Rolle.
Im Detail wurde aber eine ganze Menge verändert. Natürlich müsst ihr
euch das ganze Spielzeug genau wie bei der Konkurrenz erst langsam
erarbeiten. Erst mit steigendem Rang könnt ihr weitere Klassen und
Fahrzeuge einsetzen.
Dann habt ihr zwei Spezialausrüstungsslots, die ihr vor dem Kampf frei
belegen könnt. Ihr müsst euch entscheiden, ob ihr auf Aufklärungs- oder
Angriffs-Drohnen bzw. lieber eine Panzer-Weste, einen Raketen- oder
Granatwerfer mit euch herumschleppt. Außerdem könnt ihr zwei Perks
auswählen, die genau wie bei Call of Duty bestimmte Eigenschaften
verbessern.
Dank massiver Panzerschürzen halten die Fahrzeuge mehr aus, als bei Battlefield.
Damit
wird zum Beispiel die Geschwindigkeit und die Gesundheit von Drohnen
erhöht, die Präzision von ungezielten Schüssen verbessert oder ihr
selbst für Aufklärungsdrohnen unsichtbar gemacht. Noch dazu besitzt jede
Waffe ein Add-On, wie Schalldämpfer und unterschiedliche Zielfernrohre,
und es gibt unterschiedliche Granatenarten, neben klassischen Spreng-
und Blend-Granaten auch Gas- und EMP-Versionen.
Die Kaos Studios waren so nett, das Ganze in sechs unterschiedliche
Klassen aufzuteilen, da ihr aber selbst alles verändern könnt, sind
diese nur als Entscheidungshilfe gedacht. Zusätzlich gibt es noch fünf
unterschiedliche Fahrzeuge, deren Fähigkeiten ihr mit höheren Leveln
ebenfalls mit Perks aufbessern könnt. Hier winkt neben mehr Panzerung
und Feuerkraft auch die Möglichkeit die Panzerung eures Gefährts ohne
Beschuss wieder langsam zu regenerieren. Eine äußerst praktische
Fähigkeit, schließlich gibt es kein Reparaturkit. Außerdem werden die
Perks des Fahrers und des Bordschützen miteinander kombiniert,
ambitionierte Teamspieler sollten sich also vorher überlegen, was sie
mitnehmen.
Auf dem Event konnten wir zwei Spielmodi ausprobieren. Neben dem etwas
ausgelutschten Deathmatch das deutlich anspruchsvollere Ground Control,
das fast eins-zu-eins aus dem Quasi-Vorgänger Frontlines übernommen
wurde. Euer Team muss drei Punkte übernehmen. Wurden diese lang genug
gehalten, verschiebt sich die Front weiter nach hinten.
Kampfhubschrauber verwandeln selbst dickste Panzer in Sekunden in Altmetall.
Kann
man danach das Comeback der Feinde verhindern, ticken langsam ihre
Tickets herunter, bis sie endgültig ins Gras beißen. So entstehen
spannende Gefechte, die sich zusammen mit der kurzen Respawn-Time
deutlich taktischer als bei Modern Warfare spielen, aber auch deutlich
flotter, als bei Battlefield: Bad Company 2. Allein beim Balancing gab
es aktuell noch ein paar Probleme.
Gerade die Luftdrohnen wirkten noch einen Tick zu stark. Die kleinen
Mini-Angriffshubschrauber können mit zwei Raketensalven jeden Soldat
töten, sind im Umkehrschluss durch ihre geringe Größe aber nur schwer
abzuschießen. Im Laufe der Zeit entwickelten sich zwar genug
Gegentaktiken und gerade, wenn erst einmal Fahrzeuge auf dem Feld sind,
relativiert sich ihre Überlegenheit, trotzdem dürfen sie gern noch einen
Tick schwächer werden. Ähnlich übermächtig sind aktuell auch noch
Panzer und Hubschrauber. Da Raketenwerfer nicht mehr jeder Klasse zur
Verfügung stehen, sorgten die dicken Brummer für die meisten Abschüsse.
Und da es für Abschüsse nun mal Battlepoints gibt, können sich gewitzte
Piloten immer wieder in einem solchen Gefährt gemütlich machen.
Neben dem klassischen Kampfhubschrauber, einem bewaffneten Jeep und
einem schweren Panzer, waren diesmal noch ein Scout-Helikopter mit
Doppel-Gatling und ein Schützenpanzer mit Maschinenkanone und
Raketenwerfer spielbar. Beide ihren dicken Counterparts zwar in der
direkten Konfrontation unterlegen, aber gerade gegen Infantry absolut
tödlich. Das Endergebnis: Wenn nach einer Weile erst einmal genug
Fahrzeuge auf dem Spielfeld sind, überlebt man als Fußsoldat oft nur
wenige Minuten. Übrigens einer der Gründe, warum es bei Homefront keine
Penetration von Wänden geben wird. Die Entwickler wollen bei so viel
Feuerkraft auf dem Spielfeld den verletzlichen Infanteristen nicht auch
noch ihre Deckung nehmen.
Ein wenig Entlastung bringt hier das neue Battlecommander-System. Als
Add-On für einen normalen Modus verteilt es dynamische Missionen, die
auf den Fähigkeiten des gegnerischen Teams basieren. Gelingt euch eine
Abschuss-Serie, bekommt ihr einen kleinen Buff, zum Beispiel mehr
Lebensenergie, gleichzeitig werdet ihr aber als wertvolles Ziel markiert
und damit von zusätzlichen Gegnern verfolgt. Diese können zwar nicht
eure genaue Position sehen, aber bekommen ein Areal angezeigt, wo ihr
euch versteckt. Das erinnert ein wenig an Brink und verleiht dem
Spielgeschehen eine ganz besondere Note. Dadurch werden erstklassige
Spieler nicht nur weiter unter Druck gesetzt, sondern auch ihre Jäger
zur Teamarbeit verpflichtet. Dank Bonus-Battlepoints eine äußerst
lukrative Angelegenheit.
Interessant war auch, wie sich das Spielgefühl der beiden bereits im
letzten Jahr vorgestellten Karten Farm und Cul-de-Sac durch die nun
funktionsfähigen Battlepoints veränderten. Auf der Ground-Control-Map
mit den weiten Feldern entbrennen in den Häusern zwar noch immer brutale
Zweikämpfe und beeindruckende Scharfschützenduelle, aber gerade Drohnen
und Fahrzeuge machen hier nun wirklich den Unterschied aus. Und auch in
den engen Häuserschlachten von Cul-de-Sac sorgen die starken
Luftdrohnen, durch ihren Überblick für ein vollkommen anderes
Bewegungsverhalten der Fußsoldaten.Außerdem konnten wir einen
Blick auf die zeitexklusive Karte für Xbox-Besitzer werfen: Suburbs. Wie
der Name schon sagt, ein Gelände mit vielen, eng zusammenstehenden
Häusern, die von einem etwas höheren Bau dominiert werden. Ein ideales
Versteck für Sniper und oft der Austragungsort von verzweifelten
Nahkämpfen.
Homefront - TrailerAuch eine neue Ground-Control-Karte war spielbar. Crossroads lieferte im
Zentrum eine gewaltige Brücke, unter der sich die drei Kontrollpunkte
verbargen. Durch den strikt symmetrischen Aufbau wirkte hier das
Balancing schon am ausgereiftesten. Klar, dominierten auch hier
Scharfschützen und Fahrzeuge die Gefechte, es gab aber genug Deckung und
Schlupflöcher, um zumindest zeitweise die Oberhand zurückzuerobern.
Insgesamt wirkt der Multiplayer von den kleinen Balancing-Problemen mal
abgesehen schon jetzt extrem ausgereift. Grafik, Waffenverhalten,
Karten, Taktik und Battlepoints - alles auf extrem hohem Niveau. Wenn
nichts mehr schief geht, spielt Homefront hier ganz vorne mit.
Die Kaos Studios haben fast alle ihre Versprechen
eingehalten. Gerade technisch hat der Titel seit dem letzten Anspielen
einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht. Das reicht zwar mit aller
Wahrscheinlichkeit nicht, um optisch in die Genre-Spitze vorzudringen,
ist aber gut genug, um die dichte Atmosphäre und die hoffentlich
spannende Geschichte zu transportieren. Noch besser hat sich aber der
Multiplayer entwickelt. Während die Kampagne eher Bekanntes in neuem
Gewand abfeiert, gibt es hier ein paar originelle Einfälle, die
Mehrspieler-Fans begeistern werden.Egal ob
Battle-Points, Battle-Commander oder Perks, die Elemente scheinen gut
aufeinander abgestimmt zu sein und dürften, falls die Balancing-Probleme
beseitigt werden, Homefront ganz vorne mitspielen lassen. Gerade weil
es noch eine Weile dauert, bis Battlefield 3 auf den Markt kommt und
weil Brink eben keine Fahrzeuge liefert, könnte sich THQs Baller-Opus
damit zu einem echten Pflichtkauf für Military-Fans entwickeln. Weiter
so, Kaos.Homefront erscheint am 11. März 2011 für Xbox 360, PC und PS3.