Super Mario wegen Tierquälerei anzeigen, Glumanda wegen Brandstiftung
festnehmen oder Frank West wegen Totenschändung anklagen. Das klingt
absurd, ist aber nicht abwegig. Was dürfen sich Videospiele rausnehmen
an Moral und Darstellung? Befinden sich Spiele in einem rechtsfreien
Raum oder wann ist “zu viel des Guten” eigentlich genug? Das fragt sich
diesen Sonntag auch die Kolumne.
Als ich diese Woche das Special über Frauen in Videospielen fertig
stellte und die Nachricht rauskam, dass Modern Warfare 2 als Inspiration
für den Anschlag
in Moskau gedient haben soll, war meine Stimmung irgendwo zwischen
schockiert und amüsiert. Es ist erstaunlich wie schnell ein Videospiel
überhaupt seine Kreise ziehen kann. Ist es gut und hat einen
pädagogischen Wert, dann gilt das Spiel als empfehlenswert. Verstößt es
durch Andeutung von Gewalt oder Darstellung expliziter Gewalt gegen
soziale, rechtliche und ethische Normen, dann wird nach juristischen
Wegen gesucht dieses Spiel einzudämmen. Sofern USK und Jugendschutz
nicht helfen wollen, findet sich im deutschsprachigen Recht immer ein
passender Paragraph.
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Die neue Bedrohung ist der “rechtsfreie Raum”, den es so im Internet
nicht geben darf. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte im Dezember
letzten Jahres noch einmal ausführlich, dass das Internet kein
rechtsfreier Raum sei. Zwar ging ihr Argument in Richtung Datenschutz,
aber seitdem auch Browserspiele das Internet bevölkern, haben die
Jugendschützer alle Augen und Hände voll zu tun. Was darf in Videospielen alles angefeindet werden? Seitdem in den Staaten wütende Eltern gegen Happy Meal-Figuren
protestieren, erscheint es fast wie ein Wunder, dass nicht auch diverse
Charaktere virtuelle Handschellen tragen müssen.
Allerdings werden die Juristen vor einem Dilemma stehen. Videospiele
sind mittlerweile als Kulturgut in der Gesellschaft etabliert. Kultur
muss erhalten bleiben und gefördert werden. Außerdem werden viele Gamer
pochend auf Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes verweisen, indem die
Kunstfreiheit in Deutschland geschützt ist. Zusätzlich ist dies ein
offener Begriff, das heißt, was ich als Kunst ansehe, muss nicht
notwendigerweise jemand anders als solche erkennen.
Die wichtige Frage bleibt aber, wie lange die Freisprech-Karte
“Kunst” noch gespielt werden kann. Videospiele laden in eine fiktive
Welt ein, die aber nach möglichst echten Regeln laufen soll. Gerade
Browserspiele und kleine(re) Flash-Games tragen ihr Nötiges dazu bei.
Weil sie den Spielern ohne Kauf das Beste bieten wollen, zeigen sie auch
viel und immer auch etwas von dem, was politisch, sozial oder moralisch
verschmäht ist. Da können virtuelle Prostituierte im Internet gestylt
oder Taktik-Shooter geübt werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass
irgendwann ein Publisher aufspringt und schreit “Unser Unternehmen hat
ein absolut politisch korrektes Videospiel herausgebracht!

Videospiele sind meist interkulturell angelegt, das bedeutet ein
Publisher möchte nicht nur Käufer in Deutschland, Österreich und der
Schweiz ansprechen, sondern womöglich auch in den Vereinigten Staaten,
in Brasilien, Norwegen oder der Türkei. Jetzt haben alle Länder
unterschiedliche Vorstellungen über das, was moralisch und grafisch
akzeptabel ist. Dafür gibt es die berühmten Cut-Versionen, die
eingefleischten Zockern das Herz bluten lassen. Darüber hinaus gibt es
immer noch Elemente im Spiel, die ich hier einmal den “toten Winkel”
nenne. Dinge, die die Zensoren absichtlich übersehen haben oder sie
einfach nicht betrafen, weil sie das Spiel nicht repräsentativ für alle
werten können – dafür sind wir Menschen einfach zu unterschiedlich.
Streitbeispiel Nummer 1 war im Januar das Erscheinen von Dead Space 2. Es wurde heftig darüber debattiert,
ob das Game indiziert werden sollte oder nicht. Jetzt ist es für die
Minister der Bundesländer zwar trotz Bauchschmerzen erhältlich, aber die
Freude hält sich bei Skeptikern des Shooter-Genres in Grenzen.
Wenn die Worte “rechtsfreier Raum” fallen, dann halten viele den Atem
an. Warum werden aber meist nur die abwertend als “Killerspiele”
bezeichneten Genres ins Rampenlicht gestellt? Wie frei sind Videospiele
im “freien Verkauf” wirklich? Bleiben wir bei dem Beispiel aus dem
Intro, Frank West aus Dead Rising. Seine Aktionen dienen dem
Selbstschutz und der Notwehr, aber mit ulkigen Geräten wie einer
‘Paddlesaw’ auf bereits tote Ex-Mitbürger vorsätzlich einzuschlagen ist
nicht wirklich legitim. In vielen Survival-Games werden zwar extremer
Überlebenswillen und Kampfgeist gezeigt, dafür sind aber auch
Vandalismus, Voyeurismus und Anstiftung zur Gewalt an der Tagesordnung.
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Auch Spiele, die für alle unter 18 zugänglich sind, beinhalten manchmal
Szenen, wo man sich fragt, ob die Juristen dort nicht einschreiten
möchten. WWE SmackDown vs. Raw 2011 ist zwar beispielsweise erst ab 16,
aber die Art und Weise wie die Wrestler dort miteinander umgehen ist
doch grundsätzlich moralisch verwerflich – immerhin werden dort Stühle
zum Spaß auf Köpfe gehauen und das Publikum jubelt? Auch RPGs sind doch
recht brutal, wenn unschuldige Fantasietiere mit Zaubersprüchen belegt
oder zerlegt werden. Das ist natürlich alles überspitzt, aber nicht
abwegig.
Der rechtsfreie Raum in Videospielen ist so bedrohlich und reizvoll,
weil er der Vorstellungskraft des Spielers eine Form gibt. Wir befinden
uns nicht mehr im Zeitalter der Text-Spiele, bei denen das Highlight war
sich mit einem mühsamen Befehl hinter einem imaginärem Baum zu
verstecken. Jede Tat, egal ob rechtlich akzeptabel oder nicht, ist
sichtbar. Das wirkt bedrohlich, weil es real ist. Können wir nur das
akzeptieren, was in unserem Land bereits legitim ist und müssen sich die
Spiele danach richten? Oder sollten wir uns nach den Spielen richten
und die Zügel des Rechts etwas lockerer lassen?
Das Internet, die Konsole, selbst das Mobiltelefon kann (für einige
unter großen Schmerzen) abgeschaltet werden und somit auch jegliche Art
des rechtsfreien Raums. In der Realität funktioniert dies nicht, selbst
wenn ich schlafe, liegen hunderte Klagen beim Bundesverfassungsgericht
und werden am nächsten Tag bearbeitet. Sofern sich neue Gesetze wie das
Jugendmedienschutzgesetz durchsetzen, verschärfen oder in veränderter
Form präsent sind, ist es nicht abwegig, dass Glumanda endlich seine
Strafe wegen Brandstiftung absitzen muss.